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2.2.2 Grundlagen - Übung

Aufgabe:
Suchen Sie aus folgendem Kishon-Text alle rhetorischen Mittel heraus und erläutern Sie deren Wirkung!

Auf dem Supermarkt

Ephraim Kishon

Man kann nie wissen, ob ein Schiff, das mit Waren nach Israel unterwegs ist, auch wirklich ankommen wird. Vielleicht läuft es auf eine Sandbank auf oder wird durch eine Meuterei oder sonst etwas am Ankommen verhindert. So erklärt sich die frenetische* Kaufhysterie, die unter der Bevölkerung ausbrach, als der erste Supermarkt - ein weiteres Zeichen unserer kulturellen Verbundenheit mit dem Westen -  in Tel Aviv eröffnet wurde.

Drei Tage lang übten meine Frau und ich heroische Zurückhaltung. Dann war es vorbei. Wir hatten gerade noch die Kraft zu einer letzten Vorsichtsmaßregel: um dem Schicksal einiger unserer Nachbarn zu entgehen, die an einem einzigen Einkaufsnachmittag Bankrott gemacht hatten, ließen wir unsere Brieftaschen zu Hause und nahmen statt dessen unseren Erstgeborenen, den allgemein als “Rafi” bekannten Knaben, auf den Supermarkt mit.

Gleich am Eingang herrschte lebensgefährliches Gedränge. Wir wurden zusammengepresst wie tatsächlich, da war es auch schon: “Sardinen!” rief meine Frau mit schrillem Entzücken und machte einen sehenswerten Panthersatz direkt an den strategisch postierten Verkaufstisch, um den sich bereits zahllose Hausfrauen mit Zähnen und Klauen balgten. Man hätte an Hand der dort aufgestapelten Sardinenbüchsen eine kleine Weltreise zusammenstellen können: es gab französische, spanische, portugiesische, italienische, jugoslawische, albanische, cypriotische und heimische Sardinen, es gab Sardinen in Öl, in Tomatensauce, in Weinsauce und in Lebenija. (Lebenija ist ein in Israel hergestelltes Milchprodukt, auf das wir uns sehr viel zugute halten. Auch andere Völker stellen es her. Aber wer außer uns nennt es ,”Lebenija”?)

Meine Frau entschied sich für norwegische Sardinen und nahm noch zwei Dosen von ungewisser Herkunft dazu.

“Hier ist alles so viel billiger”, sagte sie.

“Aber wir haben doch kein Geld mitgenommen?”

“In meiner Handtasche war zufällig noch eine Kleinigkeit.” Und damit bemächtigte sie sich eines dieser handlichen Einkaufsgestelle auf Rädern, um die elf Sardinenbüchsen hineinzutun. Nur aus Neugier, nur um zu sehen, was das eigentlich sei, legte sie eine Dose mit der Aufschrift “Gold-Syrup” dazu. Plötzlich erbleichte sie und begann zu zittern: “Rafi!  Um Himmels willen - wo ist Rafi?!”

Der geneigte Leser ist gebeten, sich die Panik zweier Eltern auszumalen, deren knapp achtzehn Monate altes Kind unter den Hufen einer einhertrampelnden Büffelherde verschwunden ist. So ungefähr war uns zumute.

“Rafi!” brüllten wir beide aus vollem Hals. “Rafael! Liebling!”

“Spielwarenabteilung zweiter Block links”, informierte uns ein erfahrenes Mitglied des Verkaufsstabes.

Im nächsten Augenblick zerriss ein betäubender, explosionsartiger Knall unser Trommelfell. Der Supermarkt erzitterte bis in die Grundfesten und neigte sich seitwärts. Wir seufzten erleichtert auf. Rafi hatte sich an einer kunstvoll aufgerichteten Pyramide von etwa fünfhundert Kompottkonserven zu schaffen gemacht und hatte mit dem untrüglichen Instinkt des Kleinkindes die zentrale Stützkonserve aus der untersten Reihe herausgezogen. Um unseren kleinen Liebling für den erlittenen Schreck zu trösten, kauften wir ihm ein paar Süßigkeiten, Honig, Schweizer Schokolade, holländischen Kakao, etwas pulverisierten Kaffee und einen Beutel Pfeifentabak. Während ich den Überschuss auf unserem Einkaufswägelchen verstaute, sah ich dort noch eine Flasche Parfüm, ein Dutzend Notizbücher und zehn Kilo rote Rüben liegen.

“Weib!” rief ich aus. “Das ist nicht unser Wagen!” “Nicht? Na wenn schon.”

Ich muss gestehen, dass diese Antwort etwas für sich hatte. Es war im ganzen kein schlechter Tausch, den wir da machten. Außer den bereits genannten Objekten enthielt unser neuer Wagen noch eine erkleckliche Anzahl freundlich gerundeter Käsesorten, Kompotte in verschiedenen Farben, Badetücher und einen Besen.

“Können wir alles brauchen”, erklärte meine Frau. “Fragt sich nur, womit wir’s bezahlen sollen.”

“So ein Zufall.” Ich schüttelte verwundert den Kopf. “Eben habe ich in meiner Hosentasche die Pfundnoten entdeckt, die ich neulich so lange gesucht hatte.”

Von Gier getrieben, zogen wir weiter, wurden Zeugen eines mitreißenden Handgemenges dreier Damen, deren Laufkarren in voller Fahrt zusammengestoßen waren, und mussten dann aufs neue nach Rafis Verbleib forschen. Wir fanden ihn am ehemaligen Eierverkaufsstand.

“Wem gehört dieser Wechselbalg?” schnaubte der Obereierverkäufer, gelb vor Wut und Eidotter. “Wer ist für dieses Monstrum verantwortlich?!”

Wir erteilten ihm die gewünschte Auskunft via facti*, indem wir unseren Sohn eilig abschleppten, kauften noch einige Chemikalien für Haushaltszwecke und kehrten zu unserem Wagen zurück, auf den irgend jemand in der Zwischenzeit eine Auswahl griechischer Weine, eine Kiste Zucker und mehrere Kannen Öl aufgehäuft hatte. Um Rafi bei Stimmung zu halten, setzten wir ihn zuoberst auf den Warenberg und kauften ihm ein japanisches Schaukelpferd, dem wir zwei Paar reizende Hausschuhe für Rafis Eltern unter den Sattel schoben.

“Noch!” stöhnte meine Gattin mit glasigen Augen. “Mehr!”

Wir angelten uns einen zweiten Wagen, stießen zur Abteilung “Fleisch und Geflügel” vor und erstanden mehrere Hühner, Enten und Lämmer, verschiedene Wurstwaren, Frankfurter, geräucherte Zunge, geräucherte Gänsebrust, Rauchfleisch, Kalbsleberpastete, Gänseleberpastete, Dorschleberpastete, Karpfen, Krabben, Krebse, Lachs, einen Mosche Rabenu, einen Alexander den Großen, einen halben Wal und etwas Lebertran. Nach und nach kamen verschiedene Eierkuchen hinzu, Paprika, Zwiebeln, Kapern, eine Fahrkarte nach Capri, Zimt, Vanille, Vaselin, vasomotorische Störungen, Bohnen, Odol, Spargel, Speisesoda, Äpfel, Nüsse, Pfefferkuchen, Feigen, Datteln, Langspielplatten, Wein, Weib, Gesang, Spinat, Hanf, Melonen, einen Carabinieri, Erdbeeren, Himbeeren, Brombeeren, Blaubeeren, Haselnüsse, Kokosnüsse, Erdnüsse, Nüsse, Mandarinen, Mandolinen, Mandeln, Oliven, Birnen, elektrische Birnen (sechzig Watt), ein Aquarium, Brot, Schnittlauch, Leukoplast, einen Flohzirkus, einen Lippenstift, ein Mieder, Ersatzreifen, Stärke, Kalorien, Vitamine, Proteine, einen Sputnik und noch ein paar kleinere Anschaffungen.

Unseren aus sechs Wagen bestehenden Zug zur Kassa zu dirigieren, war nicht ganz einfach, weil das Kalb, das ich an den letzten Wagen angebunden hatte, immer zu seiner Mutter zurück wollte. Schließlich waren wir soweit, und der Kassier begann schwitzend die Rechnung zusammenzustellen. Ich nahm an, dass sie ungefähr dem Defizit* der israelischen Handelsbilanz entsprechen würde, aber zu meinem Erstaunen belief sie sich auf nicht viel mehr als viertausend Pfund. Was uns am meisten beeindruckte, war die Geschicklichkeit, mit der die Verkäufer unsere Warenbestände in große, braune Papiersäcke verpackten. Nach wenigen Minuten war alles fix und fertig. Nur Rafi fehlte.

“Haben Sie nicht irgendwo einen ganz kleinen Buben gesehen?” fragten wir in die Runde. Einer der Packer kratzte sich nachdenklich am Hinterkopf.

“Augenblick . . .Einen blonden Buben?”

“Ja. Er beißt.”

“Da haben Sie ihn.” Der Packer öffnete einen der großen Papiersäcke. Drinnen saß Rafi und kaute zufrieden an einer Tube Zahnpasta.

“Entschuldigen Sie”, sagte der Packer. “Ich dachte, Sie hätten den Kleinen hier gekauft.”

Wir bekamen für Rafi zweitausendsiebenhundert Pfund zurückerstattet und verließen den Supermarkt. Draußen warteten schon die beiden Lastautos.
 

frenetisch: rasend, überschäumend
via facti (lat.): hier: durch unsere Handlungsweise

(aus: “Drehn Sie sich um, Frau Lot”, auch bekannt als "Im Supermarkt" aus: “Alle Satiren”)

 

Weitere Kishon-Texte im Web sind auf der “kishon.info”-Link-Seite zu finden.

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