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DIE WIRKUNGSMITTEL DER FÜHRER           Gustave le Bon 1)

 

Wenn es sich darum handelt, eine Masse für den Augenblick mitzureißen, und sie zu bestimmen, irgend etwas zu tun, etwa einen Palast zu plündern, sich bei der Verteidigung eines befestigten Platzes oder einer Barrikade töten zu lassen, so muss man durch raschen Einfluss auf sie wirken. Der erfolgreichste ist das Beispiel. Doch ist dann notwendig, dass die Masse schon durch gewisse Umstände vorbereitet ist und besonders, dass der, der sie mitreißen will, die Eigenschaft besitzt, die ich später als Einfluss untersuchen werde.

Handelt es sich jedoch darum, der Massenseele Ideen und Glaubenssätze langsam einzuflößen, z.B. die modernen sozialen Lehren, so wenden die Führer verschiedene Verfahren an. Sie benutzen hauptsächlich drei bestimmte Arten; die Behauptung, die Wiederholung und die Übertragung oder Ansteckung. Ihre Wirkung ist ziemlich langsam, aber ihre Erfolge sind von Dauer.

Die reine, einfache Behauptung ohne Begründung und jeden Beweis ist ein sicheres Mittel, um der Massenseele eine Idee einzuflößen. Je bestimmter eine Behauptung, je freier sie von Beweisen und Belegen ist, desto mehr Ehrfurcht erweckt sie. Die religiösen Schriften und die Gesetzbücher aller Zeiten haben sich stets einfacher Behauptungen bedient. Die Staatsmänner, die zur Durchführung einer politischen Angelegenheit berufen sind, die Industriellen, die ihre Erzeugnisse durch Anzeigen verbreiten, kennen den Wert der Behauptung.

Die Behauptung hat aber nur dann wirklichen Einfluss, wenn sie ständig wiederholt wird, und zwar möglichst mit denselben Ausdrücken. Napoleon sagte, es gebe nur eine einzige ernsthafte Redefigur: die Wiederholung. Das Wiederholte befestigt sich so sehr in den Köpfen, dass es schließlich als eine bewiesene Wahrheit angenommen wird.

Man versteht den Einfluss der Wiederholung auf die Massen gut, wenn man sieht, welche Macht sie über die aufgeklärten Köpfe hat. Das Wiederholte setzt sich schließlich in den tiefen Bereichen des Unterbewussten fest, In denen die Ursachen unserer Handlungen verarbeitet werden. Nach einiger Zeit, wenn wir vergessen haben, wer der Urheber der wiederholten Behauptungen ist, glauben wir schließlich daran. Daher die erstaunliche Wirkung der Anzeige. Haben wir hundertmal gelesen, die beste Schokolade sei die Schokolade X, so bilden wir uns ein, wir hätten es häufig gehört, und glauben schließlich, es sei wirklich so. Tausend schriftliche Zeugnisse überreden uns so sehr, zu glauben, das Y-Pulver habe die bedeutendsten Persönlichkeiten von den hartnäckigsten Krankheiten geheilt, dass wir uns am Ende, wenn wir selbst an einem derartigen Übel erkranken, versucht fühlen, es zu probieren. Lesen wir täglich in derselben Zeitung, A sei ein ausgemachter Schuft und B ein Ehrenmann, so werden wir schließlich davon überzeugt, vorausgesetzt allerdings, dass wir nicht zu oft in einem andern Blatt die entgegengesetzte Meinung lesen, die die Eigenschaften der beiden miteinander vertauscht. Behauptung und Wiederholung allein sind mächtig genug, um einander bekämpfen zu können.

Wenn eine Behauptung oft genug und einstimmig wiederholt wurde, wie das bei gewissen Finanzunternehmungen der Fall Ist, die jede Konkurrenz aufkaufen, so bildet sich das, was man eine geistige Strömung nennt, und der mächtige Mechanismus der Ansteckung kommt dazu. Unter den Massen übertragen sich Ideen, Gefühle, Erregungen, Glaubenslehren mit ebenso starker Ansteckungskraft wie Mikroben. Diese Erscheinung beobachtet man auch bei Tieren, wenn sie in Scharen zusammen sind. Das Krippenbeißen eines Pferdes Im Stall wird bald von den andern Pferden desselben Stalles nachgeahmt. Ein Schreck, die wirre Bewegung einiger Schafe greift bald auf die ganze Herde über. Die Übertragung der Gefühle erklärt die plötzlichen Paniken. Gehirnstörungen, wie der Wahnsinn, verbreiten sich gleichfalls durch Übertragung. Es ist bekannt, wie häufig der Irrsinn bei Psychiatern auftritt. Man berichtet sogar von Geisteskrankheiten, z.B. der Platzangst, die vom Menschen auf Tiere übertragen werden ...

Die Nachahmung, der man so großen Einfluss auf die sozialen Erscheinungen zugeschrieben hat, ist in Wahrheit nur eine einfache Wirkung der Übertragung. Da ich ihre Rolle an anderer Stelle bereits beschrieben habe, so beschränke ich mich auf die Wiederholung dessen, was ich vor vielen Jahren darüber sagte und was seitdem von andern Autoren ausgeführt wurde:

Wie die Tiere ist der Mensch von Natur ein nachahmendes Wesen. Nachahmung ist ihm Bedürfnis, doch wohlgemerkt nur unter der Bedingung, dass sie leicht ist; aus diesem Bedürfnis wird die Macht der Mode geboren. Mag es sich nun um Meinungen. Ideen, literarische Äußerungen oder einfach um die Kleidung handeln, wie viele wagen es, sich ihrer Herrschaft zu entziehen. Nicht mit Beweisgründen, sondern durch Vorbilder leitet man die Massen. Jedem Zeitalter drückt eine kleine Anzahl von einzelnen ihr Siegel auf, das die Masse unbewusst nachahmt. Aber diese einzelnen dürfen sich nicht allzu weit von den überkommenen Ideen entfernen. Die Nachahmung würde dann zu schwierig und ihr Einfluss wäre gleich Null. Deshalb haben die Menschen, die ihrer Zeit zu sehr überlegen sind, keinerlei Einfluss. Der Abstand ist zu groß. Aus demselben Grunde haben die Europäer trotz aller Vorzüge ihrer Kultur einen so unbedeutenden Einfluss auf die Völker des Orients.

Die vereinigte Wirkung von Vergangenheit und gegenseitiger Nachahmung macht alle Menschen desselben Landes und desselben Zeitalters schließlich so ähnlich, dass selbst bei denen, deren besondere Pflicht es doch wäre, sich ihr zu entziehen, bei Philosophen, Gelehrten, Schriftstellern, Gedanken und Stil eine Familienähnlichkeit zeigen, die sofort die Zeit, der sie angehören, erkennen lässt. Eine kurze Unterhaltung mit irgendeinem Menschen genügt, um seinen Lesestoff, seine regelmäßige Beschäftigung und die Umgebung, in der er lebt, von Grund auf erkennen zu lassen.

Die Ansteckung ist stark genug, den Menschen nicht nur gewisse Meinungen, sondern auch bestimmte Arten des Fühlens aufzuzwingen. Sie bewirkt die Missachtung von Werken wie z. B. der Oper - Tannhäuser und macht einige Jahre später aus ihren ärgsten Verleumdern Bewunderer.

Überzeugung und Glaube der Massen verbreiten sich nur durch den Vorgang der Übertragung, niemals mit Hilfe von Vernunftgründen. Im Wirtshaus befestigen sich durch Behauptung, Wiederholung und Übertragung die heutigen Begriffe der Arbeiter, und der Glaube der Masse ist zu allen Zeiten ebenso geschaffen worden.
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1) le Bon, Gustave: Die Wirkungsmittel der Führer, aus: Psychologie der Massen, Stuttgart 1957


    Hilfestellungen:

  1. Nennen Sie die drei Führungsmittel der „Führer“ und stellen Sie deren Zusammenhang dar.
     
  2. Welches Resümee zieht der Autor?

 

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