Verständnisvarianten, Konzepte und Positionen
handlungsorientierter Lernprozesse

Von Reinhard Bader

Mit dem Leitziel ,,Berufliche Handlungskompetenz“ korrespondiert in der Didaktik die Konzeption handlungsorientierter Ausbildung bzw. handlungsorientierten Unterrichts. Zugrunde liegt die Hypothese, dass Handlungskompetenz durch solche Lehr - Lern - Arrangements besonders gefördert werden könne, in denen die Lernprozesse sich an Handlungen orientieren. Worin diese Orientierung an Handlungen genauer bestehen soll, hierüber gibt es sehr unterschiedliche Vorstellungen, teilweise auch Begriffsunschärfen, und beides führt in der praktischen Didaktik zu vielfältigen Missverständnissen, überzogenen Erwartungen an den Praxisbezug der Schule, bisweilen gar zu unreflektierten Aggressionen gegenüber dem Ziel der Handlungskompetenz überhaupt.

Differenzierte und teilweise auch kontroverse Vorstellungen bestehen in der Frage, welche Ausprägung die Handlungsorientierung in Lernprozessen haben müsse, um die Entwicklung von Handlungskompetenz zu fördern. Vereinfachend lassen sich folgende sechs Verständnisvarianten, Konzepte bzw. Positionen unterscheiden:

1. Handlungsorientierung  der  betrieblichen Ausbildung an „vollständigen Handlungen",   die selbständiges Planen, Durchführen und Kontrollieren bzw. Bewerten beruflicher Arbeit einschließen. Hinsichtlich dieser noch recht allgemeinen Orientierung besteht sowohl in der ausbildenden Wirtschaft als auch in der Berufsschule weitgehend Konsens, doch fehlen in der Ausbildungspraxis vielerorts noch Entsprechungen durch geeignete Formen der Ausbildungs- und Arbeitsorganisation, die vollständige Handlungen tatsächlich auch zulassen.

2. Handlungsorientierung des Schulunterrichts im Sinne des Lernens an Sachverhalten und Problemen, die eine Entsprechung im Erfahrungsraum der Lernenden haben oder absehbar erhalten werden. Nach diesem  Verständnis wird Handlungsorientierung insbesondere auch für die allgemeinbildenden Schulen eingefordert.

3. Handlungsorientierung  als  psychologisch begründete Strukturierung aller Lernprozesse - meist auf der Basis von kognitionspsychologischen Theorien (Aebli 1985), von Handlungsregulationstheorien (Schelten 1987. S. 126ff.; Volpert 1985 und 1989) oder von pragmatischen Verbindungen beider Theoriestränge. Hiernach erfolgt Lernen grundsätzlich an Handlungen orientiert, wobei der Begriff Handlung auch gedankliche Konstruktionen umfasst und Handlungsorientierung des Lernens sich auch auf das gedankliche Nachvollziehen von Handlungen anderer beschränken kann. (Beispiel: Lernen aus einem Lehrbuch, das politische Kontroversen um die Entstehung eines Gesetzes, Experimente in den Naturwissenschaften, wirtschaftsgeographische Zusammenhänge, Veränderungen von Gesellschaftsstrukturen oder historische Entwicklungen anschaulich und nachvollziehbar darstellt).

Bei der Planung von Lernprozessen muss Handlungsorientierung in diesem psychologischen Verständnis unbedingt berücksichtigt werden,  weil Lernen sonst erschwert, wenn nicht gar verhindert wird.

4. Handlungsorientierung als Gestaltung von Lernprozessen, in denen die Lernenden möglichst durch selbständiges  Handeln lernen, mindestens jedoch durch aktives Tun, jedenfalls nicht allein durch gedankliches Nachvollziehen von Handlungen  anderer. (Beispiel: Lernen im Lernbüro, an Fallstudien, in Rollenspielen, an praktisch durchgeführten Experimenten oder am Projekt).

Handlungsorientierung in diesem Verständnis ist nicht nur in der Praxis der betrieblichen Ausbildung, sondern auch im Unterricht der Berufsschule anzustreben und so weit wie möglich auszudehnen, weil  hierdurch Anschaulichkeit, differenziertere Problemsicht, Motivation, intensivere Verknüpfung neuer Einsichten mit vorangegangenen Erfahrungen. länger anhaltendes Behalten des Gelernten gefördert  werden. Diese Handlungsorientierung in der Praxis zu realisieren, dies wird je nach Lerninhalten, Medienausstattung und Organisatorischen  Rahmenbedingungen sowie auch je nach Lehrerkompetenz  mehr oder weniger schwierig sein. In vielen Schulen zeigen sich bereits ermutigende Ergebnisse. Besonders erfreulich ist die immer wieder geäußerte persönliche Zufriedenheit der Lehrerinnen und Lehrer, die sich zu dieser Unterrichtsgestaltung durchgerungen haben.

5. Handlungsorientierung  als Lernen an konkreten Handlungen, deren Ergebnis nicht aufgrund gesicherter Erkenntnisse (zum Beispiel der Naturwissenschaften) feststeht, sondern offen ist. Dies trifft für alle Situationen zu. in denen Menschen mehr oder weniger weite Handlungsspielräume haben, die sie auf ihre Weise nutzen bzw. ausgestalten können. Handlungen sind dann Voraussetzungen für den Zugewinn an Erkenntnissen, die sich sowohl aus zweckrationalem als auch aus kommunikativem Handeln bzw. einer Synthese beider  Handlungstypen ergeben können. Auf den jeweiligen Handlungsplan gewendet: Die Leistungsfähigkeit des Handlungsplans  lässt sich  erst durch tatsächliches  Ausführen der geplanten Handlung beurteilen. (Beispiele: Prüfung der Effizienz eines Bearbeitungsablaufs zur Regulierung von Versicherungsfällen: Beurteilung der Richtigkeit eines Schaltplans durch Aufbau und Überprüfung der Schaltung; Erprobung einer Lösungsstrategie bei der Fehlersuche durch Aufspüren und Beseitigen einer Störung; Beurteilung einer Argumentation durch deren Erprobung in einer Gruppendiskussion).

Im Falle von Aufgabenstellungen bzw. Problemen, die prinzipiell offene Lösungen zulassen, kann das Lernpotential nur durch eine Handlungsorientierung in diesem Verständnis voll ausgeschöpft werden: bei der Beschränkung auf eine nur gedankliche, allgemeine Handlungsstrukturierung (im Verständnis nach Punkt 3). d.h. ohne eigenes konkretes Handeln, sind allenfalls Teileinsichten zu erwarten.

6. Handlungsorientierung als Planung und Gestaltung von Lernprozessen mit dem Ziel der Fähigkeit. aus gewonnenen Erkenntnissen (im weitesten Sinne) gesellschaftliche Konsequenzen zu ziehen, d.h. der Einsicht die Tat folgen zu lassen, um vorgefundene Situationen in Richtung auf als erstrebenswert erkannte Ziele mit den geplanten Methoden zu verändern. (Beispiele: Beseitigen von Gefahrenstellen an Arbeitsplätzen; Verweisen auf Umweltschäden, Ändern von Ausbildungsplänen oder Schulordnungen: Hinweis der Öffentlichkeit auf gesellschaftliche Ungerechtigkeiten durch Schülerzeitungen, Pressemitteilungen, Flugblätter, Demonstrationen).

Dieses  Verständnis  von  Handlungsorientierung dürfte in manchen Kreisen Argwohn hervorrufen. Aus einer verengten Sicht von Berufsbildung als technischer Qualifizierung und Sozialisierung für berufliche Arbeit heraus, könnte die Gefahr einer Politisierung der Bildungseinrichtungen gesehen werden. Der in den Landesverfassungen begründete Bildungsauftrag der Schulen verpflichtet auch die beruflichen Schulen, nicht nur zur Berufsfähigkeit zu führen, sondern auch den Prozess zur Entwicklung von Mündigkeit, zur Persönlichkeitsentfaltung in sozialer Verantwortung, bestmöglich zu fördern. Deshalb ist in der Didaktik der beruflichen Schulen auch diese Dimension von Handlungsorientierung unverzichtbar. Dies bedeutet nicht die Aufforderung der Schülerinnen und Schüler zu politischem Aktionismus, wohl aber das stetige Bestreben, zum Durchschauen und Verstehen von Sachverhalten und Zusammenhängen anzuleiten, Urteilsbildung und Werteentwicklung zu fördern sowie das verantwortungsbewusste Nachdenken über Handlungsalternativen und Möglichkeiten zu unterstützen.

Hinsichtlich des Verständnisses nach den Punkten 1 und 2 besteht in der Didaktik weitgehend Konsens. Die Berufsschule ist aufgrund ihres Bildungsauftrags gehalten, in ihrer Didaktik auch die Verständnisdimensionen nach den Punkten 3 bis 6 zu integrieren.

Notizen:

 

 

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Aufgabe:

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